Ein Fest auf dem Weg

Am Anfang waren sie Fremde für uns. Wir wussten wenig von den Ländern, aus denen sie kamen, von ihren Familien, ihrer Religion und Kultur.

Vor allem aber wussten wir nichts von den Schicksalen, die sie über die tiefen Meere und auf die langen Straßen der Flucht getrieben haben.

Am Anfang waren sie Fremde für uns und wir für sie. Wir waren unsicher. Wir wussten nicht, wie wir uns verständlich machen und ihnen begegnen können. Es war uns bang im Herzen. Keiner von uns ist blauäugig oder gar euphorisch an eine Aufgabe herangegangen, die wir uns nicht ausgesucht hatten. Wir wussten nicht, ob gelingen würde, was wir uns vorgenommen hatten. Wir wussten aber, dass es nötig ist. Manchmal musst du in den „Fremden“ hinein schlüpfen, um ihn zu verstehen. Dazu musst du auf ihn zugehen und dich ihm bekannt machen.

Dann kannst du nach dem Grund fragen, der ihn gezwungen hat, seine Heimat zu verlassen. Denn er hängt genauso am Land seiner Herkunft, wie du. Er lässt seine Kindheit zurück, seine Familie und seine Sprache. Es muss schwerwiegende Gründe geben, das alles zu verlassen. Armut, wie so gern behauptet, ist es nicht, obwohl bittere Armut zum Davonlaufen ist. Auch für viele Deutsche in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts übrigens.

Nach und nach hörten wir die Geschichten von Krieg, zerstörten Häusern und gewaltsamen Rekrutierungen. Wir hörten sie einzeln. Jedes dieser Schicksale bekam einen Namen, ein Gesicht und eine Stimme. Kein Mensch hat es verdient, zur Masse degradiert zu werden, über die man dann herziehen kann. Wenn du den Anderen nicht kennst, dann sprich nicht über ihn! Nicht gut und nicht schlecht. Du selbst möchtest auch nicht, dass man so mit dir umgeht.

Sie sind weder Migranten, noch Asylanten noch Ausländer. Sie sind Menschen und sie haben eine Hoffnung, eine Furcht und eine Sehnsucht. Und stell dir vor: Die tiefste Sehnsucht ist die nach Hause, nach dem Land ihrer Heimat im Frieden. Das wäre bei uns genauso, wenn es uns längere Zeit in die Fremde verschlägt. Nur haben wir eben glücklicherweise in unserem Land Frieden. Wir haben ihn, aber wissen wir noch um dieses so kostbare Gut? Es wird uns wieder deutlich, wenn wir die Schicksale der anderen hören. Einzeln, Mensch für Mensch.

Am Anfang waren sie Fremde für uns. Manches ist uns gelungen, anderes nicht. Wir haben sie begleitet auf ihrem Weg in die Sprache, die Kultur und in die Arbeit. Viele, die damals hier in Römhild angekommen sind, arbeiten inzwischen und liegen keinem Sozialstaat auf der Tasche. Aber das weißt du nur, wenn du die Leute kennst, einzeln. Mit den meisten kannst du dich ganz gut unterhalten. Sie sprechen inzwischen verständlich Deutsch.

Einige sind uns Freunde geworden. Wir wissen nun wesentlich mehr von Afghanistan, dem Land ihrer Herkunft und Sehnsucht, dem seit Jahrzehnten geschundenen Land. Wir wissen von ihren Müttern, Vätern und Geschwistern.

Stärken haben sie und Schwächen, so wie unsere deutschen Freunde und wir selbst. Aus Fremden sind Bekannte geworden. Am 16. November haben wir mit ihnen unser Jahresfest gefeiert. Die meisten leben inzwischen nicht mehr oben im Heim. Sie kommen aus Eisfeld oder Hildburghausen, wo sie Wohnungen haben, Sprachkurse belegen oder einer ganz normalen Arbeit nachgehen. Es gab afghanisches, deutsches und afrikanisches Essen, wie immer viel zu viel.

Aber das kennen wir ja auch aus unserem eigenen Land. Es war schön, beieinander zu sein und zu erzählen, wie wundersam die Wege sich inzwischen geweitet haben. Ein Zauberer aus Schweinfurt kam zu Besuch und verblüffte die einen wie die anderen mit seiner Kunst. Ein großes Dankeschön allen, die sich tatkräftig eingebracht haben!

Und übrigens: Wir bilden uns absolut nichts ein auf das, was wir da versucht haben ohne zu wissen, wie es geht. Es ist uns ganz und gar nicht alles gelungen. Es war einfach eine Anfrage an unser Herz und unser Leben.

Wir sind keine „Gutmenschen“, was auch immer das sei. Wir sind genauso unsicher und fehlerhaft wie jeder andere.

Aber wir haben jetzt ein paar Freunde mehr. Sie kommen aus der einen, der großen, der weiten Welt. So wie wir und unsere deutschen Freunde auch. Thomas Perlick, Römhild