Flüchtlinge aufnehmen - ja!

Aber doch bitte nicht 50 Männer aus Afghanistan…

Vor drei Monaten standen wir ihnen plötzlich gegenüber: den 77 Flüchtlingen, die unserer kleinen Stadt Römhild zugewiesen worden waren. Unter ihnen sechs Familien aus Syrien und Serbien – den Rest stellten mehr als 50 Männer aus Afghanistan.

Am Tag nach ihrer Ankunft hatte sich eine ebenso große Gruppe von Römhildern auf dem Platz vor der Gemeinschaftsunterkunft eingefunden. Es war ein warmer, schöner Herbsttag, an dem Flipflops und durchgelaufene Sandalen gar nicht einmal so fehl am Platz wirkten. Das übrige Erscheinungsbild dieser Menschen schien dagegen nicht so recht in die Umgebung zu passen. Schwarze Haare, dunkle Augen und ein karamellfarbener Teint.

Ein bisschen Orient ist dem Römhilder ja nicht fremd – der Vulkan-Grill ist schließlich seit jeher ein beliebter Anlaufpunkt – doch jenseits von Lahmacun und Kräutersoße wächst die Verunsicherung.

Wer sind diese Menschen? Was wollen sie hier? Und vor allem: Wie soll man die bitte jemals auseinander halten?

Während der Begrüßungsrede musterte man sich verstohlen. Ein neugieriger Blick hier, ein schüchternes Lächeln dort. Zwischen uns und den Flüchtlingen standen ein wackeliger weißer Gartentisch mit mitgebrachten duftenden Kuchen und: jede Menge Vorurteile.

Man hatte da ja so einiges gehört. Sei es aus den Medien oder durch Mundpropaganda. Neben den Schwierigkeiten, die es in Deutschland bei der Verwaltung des enormen Zustroms von Flüchtlingen gibt, wird auch von Straftaten und Vorfällen berichtet, die bereits bestehende Bedenken zu bestätigen scheinen. Das Bild, das wir von Flüchtlingen haben, ist vorbelastet. Doch was ist dran an den Gerüchten? Sind diese Männer dort wirklich kriminell oder ist es nur unsere Angst vor dem Fremden, die uns misstrauisch macht und die wir uns nicht eingestehen wollen?

Besonders furchteinflößend sah die Truppe hinter dem Kuchentisch jedenfalls nicht aus. Verglichen mit dem stämmigen deutschen Durchschnittsmann würde man die Afghanen und Syrer wohl - gutgemeint - als halbe Portionen bezeichnen. Da fragt man sich, wer hier tatsächlich Angst vor wem hat.

Die Begrüßungsrede endete mit einem Plädoyer für gegenseitigen Respekt und der Hoffnung auf ein friedliches Miteinander. Begeistert stürzten sich die Kinder auf den Kuchen. Damit war das Weltgeschehen in Römhild angekommen.

Die Begeisterung darüber, dass über 50 afghanische Männer in Römhild untergebracht werden sollen, hielt sich im Vorfeld sehr in Grenzen. Auch viele der Befürworter des Flüchtlingsheims mussten bei dieser Neuigkeit schlucken. Flüchtlingen helfen? Ja! – aber irgendwo ist auch mal gut mit Mitmenschlichkeit. Oder nicht?

Seit dem Tag der Begrüßung ist einige Zeit vergangen. Und wir fragen uns, was sich seitdem verändert hat. Was ist aus all den Bedenken geworden, die im Raum standen? Können die Frauen nun nicht mehr unbesorgt auf die Straße? Ist die Anzahl der Ladendiebstähle und Überfälle in die Höhe geschnellt? Die Antwort auf diese Fragen ist ein klares Nein.

Wir müssen fast schon über uns selber lachen, wenn wir daran zurück denken, was für Sorgen wir uns zu Beginn gemacht haben. So schwer uns die ersten Schritte der Annährung gefallen sind, so selbstverständlich ist es inzwischen, von Abib und Isa auf einen Tee eingeladen zu werden oder die Gastfreundlichkeit zu erwidern und neben Oma Inge und Opa Gerald auch mit Janus und Shahidullah am Abendbrottisch zu sitzen.

Bedenken müssen geäußert werden. Aber genauso müssen wir lernen, sie fallen zu lassen, wenn sie sich als unbegründet erweisen. Sind Flüchtlinge kriminell? Ja! Genauso kriminell wie die Deutschen. Natürlich sind bei einer Million Asylsuchenden auch ein paar Problemfälle dabei, das steht ganz außer Frage. Doch einzelne, durch die Medien verbreitete Vorkommnisse zu nutzen, um Flüchtlinge (insbesondere junge Männer) als Verbrecher abzustempeln, wäre in etwa so fatal, wie von den Pegida-Demonstrationen darauf zu schließen, dass alle Deutschen Nazis sind.

Wir haben in Römhild die Chance, die Menschen hinter den Gesichtern kennen zu lernen. Auch wir müssen ihnen Respekt entgegenbringen, nicht nur umgekehrt. Denn wir kennen ihre Geschichten nicht. Nur wenn wir versuchen, ihre Sorgen und Probleme zu verstehen, können wir Missverständnisse vermeiden. Denn unsere Wertvorstellungen sind gar nicht so wirklich verschieden. Es sind Menschen wie wir. Es sind Familienväter, Fußballer, Maurer, Studenten, Künstler, Bauern, Polizisten, Köche oder Kfz-Mechaniker.

Einige haben in Afghanistan für die Bundeswehr oder die US-Army gearbeitet. Nach Abzug der Truppen sind sie in das Schussfeld der Taliban geraten. Die Männer sind hier, weil sie sich geweigert haben, Informationen weiterzugeben und für die Taliban zu kämpfen. Weil sie von ihren Familien und Freunden gedrängt wurden, das Land zu verlassen, um ihr Leben zu retten. Die Menschen, die wochen- und monatelang zu Fuß, durch die Wüste und über das Meer unterwegs waren, sind nicht die Gefahr. Sie fliehen vor der Gefahr. Sie fliehen vor dem Krieg und dem Terror in ihrer Heimat. Wenn sie geblieben wären, wären die meisten von ihnen wahrscheinlich jetzt tot.

Jeden Monat verlassen etwa 100.000 Menschen Afghanistan. Über 90% der Flüchtlinge stranden in den Nachbarländern Pakistan und dem Iran. Nur ein Bruchteil hat die finanziellen Ressourcen bis nach Europa zu kommen. Es sind überwiegend junge Menschen, oft sind sie gut ausgebildet. Sie teilen die Ansichten der älteren Generation nicht und sehnen sich nach Freiheit, nicht nach Unterdrückung. Doch die Lage in ihrem Heimatland, das seit 30 Jahren von Kriegen zerrüttet wird, ist aussichtslos. „Ich weiß nicht, auf wie vielen Beerdigungen von Freunden ich in meinem Leben war“, erzählt Abdullah. „Aber jedes Mal fragt man sich, wer von uns der Nächste sein wird.“ Und mit einem schiefen Lächeln fügt er hinzu: „Wir sagen immer: In Afghanistan kann man nicht leben – nur am Leben bleiben.“

Die täglichen, schlimmen Nachrichten aus der Heimat, die Sorge um die Zurückgebliebenen und die ständige Angst, wieder dorthin zurück geschickt zu werden, setzen vor allem den Jüngeren merklich zu. Ihnen mit Feindseligkeit zu begegnen, bringt hier niemanden weiter. Jetzt liegt es an uns, diese Menschen aufzufangen, ihnen im Rahmen unserer Möglichkeiten zu helfen und schlicht und einfach Mitmenschlichkeit zu zeigen.

Trauen wir uns

Bereits im Vorfeld hatte sich in Römhild ein Unterstützerkreis gebildet. WIR (=Willkommen in Römhild) konnte seit Ankunft der Flüchtlinge einen beständigen Zuwachs an ehrenamtlichen HelferInnen aus Römhild und Umgebung verzeichnen. Es wurden verschiedene Gruppen gebildet: von Sprachkurs über Kleiderkammer, Unterstützung in Notsituationen, Öffentlichkeitsarbeit bis hin zu Freizeitgestaltung. Nähere Informationen dazu gibt es unter à www.roemhild-hilft.org. Auch die Vereine tun ihr Bestes, um die jungen Menschen zu integrieren. Die Fußballteams der Sportvereine beispielsweise haben zwei neue internationale Stammspieler dazu gewonnen. Und auch ganz privat wurden schon Ausflüge unternommen, es wurde gemeinsam gegessen und gelacht.

Unsere Stadt ist bunter geworden. Der Zuwachs in Römhild ist bereichernd für alle, nicht nur sie können von uns lernen, auch wir können von ihnen lernen.Trauen wir uns doch einfach, auf die Menschen zu zugehen. Und wenn es nur ein freundliches Lächeln ist, das wir ihnen schenken, wenn sie das nächste Mal beim Einkaufen an derselben Kasse stehen.

Klara Thein