Ich habe mich deshalb spontan bereiterklärt, diese Aufgabe zu übernehmen. In meinem ersten Gespräch mit den Asylbewerbern war jedoch schnell klar, dass der Wunsch nach einer befestigten Gebetsfläche besteht. Für die Verrichtung des gemeinsamen Gebets hatten die Asylbewerber bereits Bettlaken vom Hausmeister erhalten, die einfach auf der lose geschotterten Fläche ausgelegt wurden.
Für mich war es also interessant, mehr über die Hintergründe dieses doch so einhellig geäußerten Wunsches zu erfahren. Das muslimische Pflichtgebet ist die zweite Säule der islamischen Religion. Jedem erwachsenen Muslim sind täglich fünf Pflichtgebete vorgeschrieben, die den Tagesablauf regeln: zum Tagesbeginn, mittags, nachmittags, nach Sonnenuntergang und zum Tagesende. Ein Muslim kann in der Moschee, dem muslimischen Gebetshaus, zu Hause, auf der Arbeit oder unterwegs beten. Am Freitagnachmittag jedoch muss jeder Muslim in der Gemeinschaft mit anderen beten. Ein Muslim muss sich auf das Beten einstimmen und vorbereiten, denn ein muslimisches Gebet soll tief aus dem Herzen des Gläubigen kommen. Reinheit ist dabei eine wichtige Voraussetzung. Muslime waschen sich fünfmal am Tag vor jedem Gebet. Mit Hilfe dieses Rituals kann ein Muslim von seiner vorangegangenen Arbeit abschalten und sich auf Gott konzentrieren. Auch die Kleider und der Ort des Gebets müssen sauber sein. Um sich einen sauberen Gebetsort zu verschaffen, nutzen Muslime einen Gebetsteppich.
Mit diesem Wissen war für mich jetzt der Wunsch nach einer befestigten Gebetsfläche voll nachvollziehbar. Die Asylbewerber hatten allerdings nur um die Bereitstellung von Kies und Zement gebeten. Das Mischen und Einbringen des Betons wollten sie sogar selbst von Hand durchführen. Nachdem diese Bitte dem Bürgermeister Herrn Köhler vorgetragen wurde, hat dieser sofort zugestimmt und gleich die Bereitstellung von Fertigbeton zugesagt. Am 08.10.2015 war es dann soweit, dass der Fertigbeton angeliefert wurde. Die notwendigen Schaufeln und Rechen wurden unproblematisch vom Bauhof der Stadt bereitgestellt. Mit welchem Elan die Asylbewerber bei der Arbeit waren, wird auf dem Video sehr deutlich. Unsere letzte Aufgabe ist es jetzt, den bereits vorhanden Teppich zu übergeben.
In meinem Gesprächen mit den Asylbewerbern habe ich aber auch sehr deutlich gehört, dass sie nicht aus freien Stücken ihre Heimat verlassen haben. Aus aktuellem Anlass möchte ich deshalb auf die heutige Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels und die sehr bewegende Ansprache des Preisträgers Navid Kermani in der Frankfurter Paulskirche verweisen und seine Worte "Wir führen keine breite gesellschaftliche Debatte über die Ursachen des Terrors und der Fluchtbewegung und inwiefern unsere eigene Politik vielleicht sogar die Katastrophe befördert, die sich vor unseren Grenzen abspielt" zitieren.
Karl-Heinz Popp